(Ellar) "Noch ist rein gar nichts gewonnen" - so wurde Trainer Torsten Kierdorf bereits nach dem Auswärtssieg in Schwanheim in der Presse zitiert.
Auch nach dem Heimsieg gegen den FV Biebrich 02 behält diese Einschätzung selbstverständlich seine Gültigkeit, rangiert der FC Waldbrunn noch immer auf einem Abstiegsplatz. Genau so richtig
ist aber auch, dass der Abstand zu den Nichts-Abstiegsplätzen und sogar zum oberen Mittelfeld der Verbandsliga mittlerweile nur noch marginal ist.
Einen Saisonstart wie diesen hat Verein in seiner Geschichte noch nie erlebt. Nach dem kuriosen 3:3 am ersten Spieltag gegen den aktuell Tabellenletzten aus Gießen folgten Niederlagen auf
Niederlagen. "Es ist schon ziemlich hart, so viele Spiele hintereinander zu verlieren. Umso wichtiger ist es, dass wir uns gemeinsam aus dieser Situation herausgekämpft haben", erklärt Kapitän
Eric Böcher. Die aktuelle Siegesserie von vier Spielen bezeichnet er als "befreiend für den Kopf." Als Jürgen Klinsmann 2004 mit Prof. Dr. Hans-Dieter Hermann auch einen
Sportpsychologen in den Betreuerstab der Nationalelf integrierte, wurde er von vielen Seiten belächelt. Dass sportliche Erfolge eng verbunden sind mit der Psyche, bestätigt die Situation im
Westerwald. "Durch die abfallende Last können wir unsere Qualitäten endlich wieder unter Beweis stellen", führt Böcher weiter aus.
Momentaufnahmen der Negativ-Serie
Die zwei Gesichter des FC Waldbrunn
Dies gelang der Mannschaft vor allem in der zweiten Halbzeit gegen Biebrich. So sieht es auch Trainer Torsten Kierdorf: "Die zweite Halbzeit war so, wie ich es mir vorstelle: Wir waren in jedem Zweikampf da und haben versucht Fußball zu spielen! Dadurch haben wir uns auch Torchancen erarbeitet! Nach so einer schlechten Hälfte den Schalter umzulegen und eine derart gute Leistung in Durchgang zwei zu zeigen, ist alles andere als leicht - da ziehe ich den Hut vor den Jungs!" Dass die Saison nicht nur an den Nerven der Aktiven zehrt, sondern auch an denen der Personen neben dem Platz, bestätigt der ehemalige Torhüter und aktuelle Betreuer Tobias Keil: "Nervenaufreibend war die bisherige komplette Saison. Das Spiel gegen Biebrich steht sinnbildlich für die Runde in der Verbandsliga." Dass Hoffen und Bangen, Freud und Leid ganz dicht beieinander liegen, erfährt man im Rhythmus der Verbandsliga-Spieltage. "So zeigte die Mannschaft gegen Biebrich genau diese zwei Gesichter: In Hälfte eins das Gesicht eines Verlierers und in Hälfte zwei das Gesicht einer absoluten Siegermannschaft!", so Keil. Stellvertretend für die zwei gezeigten Gesichter kann man die Leistung von FCW-Stürmer Lukas Scholl heranziehen: In der ersten Hälfte per Elfmeter gescheitert (O-Ton "Nach dem verschossenen Elfmeter habe ich mir erst einmal gedacht: Wow, war der schlecht!") - in der zweiten Hälfte mit überragender kämpferischer Leistung und verwandeltem Elfmeter. "Erleichterung" verspürte Scholl nach den Siegen - Zweifel daran, dass er den zweiten Elfmeter einem anderen Spieler überlassen sollte, hatte er dementsprechend nicht: "Das Selbstvertrauen ist wieder voll da. In so einem engen Spiel war ich so fokussiert, dass ich nicht an andere, verlorene Spiele denke. Nur das Hier und Jetzt zählt und der Glaube daran, dass man noch mehr Chancen bekommt." So viel Zum Thema mentale Fitness.
So sieht die Welt schon wieder ganz anders aus...
Zum Zuschauen verdammt
Das Stichwort Fitness spielt in der Gesamtsituation rund um die erste Mannschaft sicherlich eine große Rolle, hing der ernüchternde Start auch mit der Personallage zusammen. Etliche Ausfälle führten dazu, dass regelmäßig Spieler der zweiten Mannschaft aushelfen mussten und dies stets mit großem Engagement. Einige Verletzte kamen zurück, wie Thomas Weinand oder Mustafa Metovic. Andere, wie u.a. Arne Breuer, David Schäfer oder Moritz Steinhauer, sind derzeit noch zum Zuschauen verdammt. "Um ehrlich zu sein ist es von aussen deutlich nervenaufreibender als wenn man selbst am Platz steht. Man ist 90 Minuten unter Hochspannung und würde am liebsten sofort auf den Platz stürmen und der Mannschaft helfen", schildert der verletzte Moritz Steinhauer seine Situation. Eine wortwörtliche andere Sichtweise führt dazu, dass "einem bewusst wird, wie sehr auch die ganzen Zuschauer in den letzten Wochen während den Spielen mitgelitten haben und uns trotzdem bei jedem Spiel sowohl auswärts als auch daheim wieder aufs Neue unterstützen, das ist alles andere als selbstverständlich." Auch Steinhauer verwendet, angesprochen auf die aktuelle Erfolgsserie, Worte wie "zurückgewonnenes Selbstvertrauen" oder "Sicherheit", die seinen Heilungsprozess mental definitiv unterstützen werden.
Den Verletzten bleibt derzeit nur die Zuschauerrolle (hier: Moritz Steinhauer und David Schäfer)
Aus negativen Phasen positive Erfahrungen ziehen
Erfahrungen mit Niederlagen-Läufen musste Neuzugang Leon Schmitt bereits beim SV Hundsangen machen: "Bis auf eine Saison haben wir immer gegen den Abstieg gekämpft." Wichtig ist aber, dass er den Kampf gegen den Negativtrend immer gewinnen und daraus eine gewisse mentale Stärke ziehen konnte: "Am Ende konnten wir uns mit einer guten Rückrunde aber immer ins Mittelfeld begeben." Eine besonders spezielle Form des Leidens musste der Bruder des Elzer Keepers Kim Schmitt in dieser Saison spüren, erlebte er doch die Niederlagen sowohl auf, als auch neben dem Platz auf der Bank: "Persönlich möchte man natürlich mit den Jungs auf dem Platz stehen und zusammen alles dafür tun, um zu gewinnen. Wenn das eben mal nicht der Fall ist, dann leidet man aber draußen genauso mit, als würde man selbst spielen." Dass es jetzt - auch mit ihm im Tor - endlich besser läuft, "tut extrem gut. Mittlerweile traut man sich auch mal wieder montags die Zeitung zu lesen oder mal auf die Tabelle zu gucken..."
Neuzugang Leon Schmitt - großer Rückhalt in Schwanheim und gegen Biebrich
"Papa-Power" sorgt für Punkte
Großen Anteil am Erfolg gegen Biebrich hatten Mustafa "Muni" Metovic und Steffen Rücker, die mit ihren Toren zum 2:1 und 3:2 ihre Farben jeweils in Front brachten. Bei Metovic kam in der sportlich negativen Phase noch hinzu, dass er durch Verletzungen kaum oder gar nicht spielen konnte. Seit seiner Rückkehr in Schwanheim zeigt der frischgebackene Papa aber, welchen Wert er für die Mannschaft hat: Sowohl in Schwanheim als auch zuhause gegen Biebrich traf er prompt. Unterstreichen möchte Muni, "dass wir nicht nur wieder endlich gewinnen, sondern auch Spiele drehen können! Eine psychologisch schwierigere Angelegenheit, als eine Führung über die Zeit zu bringen." Steffen Rücker, der wohl mit Abstand die meisten Kilometer der gesamten Mannschaft in der Saison abgespult hat und mit seinen nunmehr schon acht Toren die interne Torjägerliste vor Lukas Scholl (sechs) anführt, atmet nach dem Kraftakt in Ellar erst einmal durch. "Es war brutal wichtig, dieses Sechs-Punkte-Spiel gegen einen direkten Konkurrenten zu gewinnen." Als erfahrener Fußballer mahnt er aber auch gleichzeitig: "Nach dem 2:1 sieht man, dass uns immer noch Fehler unterlaufen, die in der Liga eiskalt bestraft werden." Auf den vier Siegen darf sich also keiner ausruhen. "Unser Ziel muss sein, über 90 Minuten die Leistung aus der zweiten Hälfte gegen Biebrich zu zeigen!" Rücker, ebenfalls Neu-Papa, ist aber letztlich auch stolz auf die Moral der Mannschaft, die er selbst mit seinem Führungstor kurz vor Schluss unterstrich: "Ein geiles Gefühl, ganz klar!"
Das frischgebackene Vater-Duo hat einen großen Anteil am Waldbrunner Aufwärtstrend
Quo vadis, FC Waldbrunn?
Wie geht es nun weiter? Am Mittwoch steht das Pokalspiel beim FC Dorndorf an. Im Achtelfinale trifft der FCW auf den Tabellenführer der Gruppenliga Wiesbaden. "Der nächste Knaller", so Steffen Rücker, "den man keinesfalls unterschätzen sollte." Das sieht auch Defensivmann Maxi Neuhof so und betont gleichzeitig: "Wir haben richtig Bock auf das Pokalspiel! Vor sicherlich toller Kulisse um einen Titel spielen zu können, übt auf Sportler immer ein besonderer Reiz aus - und das gegen einen Derby-Gegner, auf den man eher selten trifft. Wir wollen den Schwung aus der Liga mitnehmen und alles abrufen, was wir haben!"
Wie es danach in der Liga weitergehen könnte, ist schwer vorherzusagen, da sich die Verbandsliga Mitte nicht erst seit der allgegenwärtigen Pandemie in schöner Regelmäßigkeit als
Überraschungstüte entpuppt. Schaut man auf die restlichen Liga-Aufgaben in diesem Jahr, ist ein Trend klar zu erkennen: Den kommenden zwei Spielen, auswärts in Cleeberg (14.) und
zuhause im Verbandsliga-Derby gegen den RSV Weyer (vier Spiele in Folge sieglos), muss man eine große Bedeutung beimessen. Hier hat die Elf von Torsten Kierdorf die
große Möglichkeit, mit großen Schritten aus der Abstiegszone zu dribbeln. Die zwei Spiele darauf kann man getrost als ordentliche Brocken bezeichnen. Mit TuBa Pohlheim (4.) und
dem TSV Steinbach II (1.) kommen die schwierigsten Aufgaben zum Ende des Jahres. Aber bekanntlich kommt das Beste ja zum Schluss... Wir drücken der Mannschaft alle Daumen und wünschen
weiterhin sportlichen Erfolg und Gesundheit!
Kommentar schreiben